Müdigkeit, Schläfrigkeit und Schlafstörungen sind verbreitete Beschwerden bei Seeleuten. Sie sind häufig psychophysischen Belastungen sowie Nacht- und Schichtarbeit ausgesetzt. Lärm durch den Schiffsbetrieb, Maschinenvibrationen und wetterbedingte Schiffsbewegungen sind weitere wichtige Stressfaktoren, die die Qualität des Schlafs an Bord beeinträchtigen können. Da Müdigkeit, Schläfrigkeit und Schlafstörungen das Risiko von Unfällen auf See erhöhen können, ist eine objektive Erhebung dieser Belastungen nicht nur für die Gesundheit der Seeleute, sondern auch für die Sicherheit an Bord ein wichtiger Bestandteil.
Um ein tieferes Verständnis der Schlafarchitektur von Seeleuten und möglicher Schlafstörungen zu erlangen, wurde die ambulante Polysomnografie – der Goldstandard der Schlafdiagnostik – zum ersten Mal an Bord von Handelsschiffen eingesetzt. Die objektive Schläfrigkeit wurde mittels Pupillometrie gemessen. Darüber hinaus wurden Interviews und Fragebögen zur Tagesschläfrigkeit (ESS = Epworth Sleepiness Scale) und zur Schlafqualität (PSQI = Pittsburgh Sleep Quality Index) durchgeführt.
Die polysomnografischen Messungen zeigten Signalqualitäten und Impedanzen, die mit denen eines Schlaflabors vergleichbar sind. Es wurden keine auffälligen Störungen festgestellt, die auf die Schiffsumgebung zurückgeführt werden könnten. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die Qualität und Durchführbarkeit der Polysomnografie an Bord gut war.
Ein Vergleich der Schlafarchitektur von Seeleuten mit der Normalbevölkerung ergab nicht nur, dass die Gesamtschlafzeit an Bord geringer ist, sondern auch, dass sich der Schlaf sowohl in der Makroarchitektur (Verschiebung von Tiefschlafphasen zugunsten von Leichtschlafphasen) als auch in der Mikroarchitektur (erhöhter Arousal-Index) verändert.
Außerdem wiesen die Seeleute ein erhöhtes Risikoprofil für obstruktive Schlafapnoe (OSA) auf. So wurde bei 73,7 % der Seeleute zumindest eine leichte OSA (AHI ≥5), bei 15,8 % eine schwere OSA (AHI ≥30) und bei 16,7 % zusätzlich eine exzessive Tagesmüdigkeit (AHI ≥5 + ESS >10) diagnostiziert. Eine leicht erhöhte Prävalenz von OSA ist bei Seeleuten wahrscheinlich, auch wenn sich ein Vergleich mit der Normalbevölkerung als schwierig erwies. In jedem Fall könnten weitere Studien sinnvoll sein, um die OSA bei Seeleuten und ihre Auswirkungen auf die Tagesschläfrigkeit und die allgemeine Gesundheit, insbesondere im Hinblick auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen, zu untersuchen.
Die ESS-Auswertungen zeigten, dass 61,1 % der Seeleute eine erhöhte subjektive Tagesmüdigkeit (ESS >5) aufwiesen. Es gab eine Tendenz zu einem höheren ESS-Wert bei Tagarbeitern, mit einem Medianwert von 9 (3-12) im Vergleich zu einem Medianwert von 6 (3-11) bei Wachpersonal. Beide Gruppen überschritten den Schwellenwert für erhöhte normale Tagesmüdigkeit von durchschnittlich >5. Tagarbeiter erreichten sogar in 28,6 % der Fälle einen ESS-Wert von >10, was auf eine exzessive Tagesmüdigkeit hindeutet.
Auch die Ergebnisse der Pupillometrie, die den Effekt der objektiven Schläfrigkeit anzeigt, waren in beiden Kollektiven auffällig. Zwei Wachleute (33,3 %) und ein Tagarbeiter (33,3 %) waren nach den Ergebnissen der Pupillometrie dienstunfähig. Die Tatsache, dass 61,1 % der Seeleute eine erhöhte Tagesschläfrigkeit (ESS >5) aufwiesen, aber nur 44,4 % eine auffällige Pupillometrie hatten, deutet darauf hin, dass die Schläfrigkeit tendenziell subjektiv überschätzt wird.
Darüber hinaus wurde beim Wachpersonal eine schlechtere objektive Schlafqualität festgestellt, auch wenn sich die subjektiv gemessene Schlafqualität mit Hilfe des PSQI nicht von derjenigen der Tagarbeiter unterschied. Im Allgemeinen schliefen Seeleute auffallend oft in Rückenlage. Diese Schlafposition hängt auch mit einer längeren Verweildauer an Bord zusammen. Die möglichen Ursachen und Auswirkungen dieser Beobachtung sollten in künftigen Langzeitstudien genauer untersucht werden.
Zusammenfassend legen die Ergebnisse nahe, dass das Schlafverhalten von Seeleuten aus Gründen des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit weiter untersucht werden sollte und dass ein Interventionsbedarf im Hinblick auf schlechte Schlafqualität und Schläfrigkeit an Bord besteht. Die vermehrte Rückenlage in Kombination mit häufigen Atemaussetzern legt nahe, dass die Vermeidung der Rückenlage (z. B. durch Verwendung eines Rucksacks) als therapeutischer Ansatz für OSA auch als kosteneffiziente und leicht umzusetzende präventive Option in der Gruppe der Seeleute in Betracht gezogen werden sollte.